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Samstag, 11. August 2012
Sein III
Ich schlage mich gerade mit unterschiedlichsten Ideen herum, inwieweit ich im Bereich der Sterbehilfe auf politischer Ebene aktiv werden könnte.
Man könnte ein Verein gründen, man könnte bis hoch zum Verfassungsgericht oder EGMR klagen, man könnte einfach ein Diskussionsportal im Web betreiben, man könnte eine Petition einreichen und für Unterschriften werben, man könnte Plakate im öffentlichen Raum platzieren – und man könnte natürlich alles zusammen machen.

Der Verein würde primär politische und kommunikative Ausrichtung haben. Er würde nicht ein Sterbehilfeangebot bieten – das vielleicht später? – , aber er würde ein Angebot des Zuhörens und der Zeugenschaft anbieten. Menschen könnten in einem neutralen, toleranten Raum z.B. ihre Lebensgeschichte zu Protokoll geben und ihre Gefühle, Gedanken und Überzeugungen in Bezug auf eine eventuelle Freitodentscheidung – oder einfach nur in Bezug auf den Tod im allgemeinen – äußern. Das so gesammelte Material könnte dann, ja nach Vorgabe des Besitzers, in unterschiedlichen Kontexten verwendet werden, z.B. bei Prozessen vor Gericht oder als Vorinformation für den Fall, dass sich der Mensch später einmal an eine Sterbehilfeorganisation wendet, oder auch für Buchveröffentlichungen.

Die Klage, die man anstrengen könnte, könnte auf das Recht abzielen, nicht allein sterben zu müssen, wenn man den Freitod wählt. Man könnte vor Gericht ziehen und eine offizielle Zusicherung für seinen Begleiter verlangen, dass er nicht der Straftat der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigt wird. Man könnte ausgerechnet Roger Kusch als seinen persönlichen Sterbebegleiter (nicht -helfer) einfordern.

...

All das könnte man tun, doch für mich persönlich stellt sich leider immernoch zuerst die Frage, ob ich denn überhaupt so viel leben will, dass ich mich diesen Projekten mit Leidenschaft und Ausdauer hingebe.
Zusätzlich besteht für mich auch wieder die Frage, inwieweit ich denn überhaupt in das Weltgeschehen eingreifen darf und will. Gewisse Dinge sollte man nur tun, wenn die Gewissheit so weit geht, dass man praktisch von einem Gefühl der höheren Legitimation begleitet wird. Oder nicht?
Das Problem mit mir ist ganz generell, dass ich den Kontakt zur Welt überhaupt nicht mehr als Pflicht empfinde. Sie ist optional, genauso wie jede gute Tat, zu der man sich ausstrecken muss. Und auf der anderen Seite suche ich eben die absolute Notwendigkeit als Element in meinem Handeln und meinen Entscheidungen. Leben und Handeln will ich auf Gottes Befehl hin in absoluter Gewissheit und nicht nur deswegen, weil ich ich die ein oder andere Position ganz gut auszufüllen weiß, oder weil das Leben ja nicht mehr und nicht weniger als ein Spiel ist, und man lediglich das tun sollte, was einem Spaß macht und zu den eigenen Neigungen passt.

Oder soll man sich etwa genau aus diesen Gründen für das Leben entscheiden?: Weil es schon irgendwie passt, weil es nicht das Schlechteste ist, weil man nicht weiß, was man sonst tun sollte, weil es ja gar nicht so unwitzig ist.
Sollte man Pizza-Bäcker werden, weil einem der liebe Gott das Talent zum Pizza-Backen gegeben hat, sollte man Psychologe oder Pfarrer werden, weil einem der liebe Gott das Talent zum Zuhören, Verstehen, Kommunizieren und Mutmachen gegeben hat, sollte man Ingenieur werden, weil man das gut kann, sollte man vor das Verfassungsgericht ziehen, weil man der richtige für den Job ist?
Fehlt da nicht noch ein gewisser Aspekt, eben dieser Aspekt der Notwendigkeit, des Befehls, der Weisung und der Aufgabe?

In einem Punkt habe ich Klarheit bzw. ein sicheres, fast jederzeit zugängliches Gefühl: Dass ich ein leidenschaftliches Leben leben will. Dies ist die höchste Verpflichtung für mich und es kümmert mich auch nicht dabei, dass man mir vorwerfen könnte, mich in praktisch "egoistischer" Manier allein für meine subjektive (Gefühls)Welt zu interessieren. (Mitleid und Mitgefühl, also die emotionale Ausrichtung auf die Außenwelt, kenne ich ja trotzdem.) Aus dieser Perspektive sind alle Tätigkeiten in der Welt primär Mittel zum Zweck, eben dem Zweck, Leidenschaft und größtmögliche Hingabe ausdrücken zu können. Und da wäre ein Hoch-und-Runterklagen vor den Gerichten dieses Landes eigentlich noch eine der leichteren Übungen. Gerichtskosten, auf denen man sitzen bleiben könnte, interessieren nicht die Bohne. Man hat ja nichts zu verlieren – außer eben die eigene Würde ( – ), wenn man vor solch Nebensächlichkeiten in die Knie geht.

Im Sinne einer leichteren Übung könnte ich also vor die Gerichte ziehen und ich könnte dies mit lachendem und freundlichen Herzen tun.
Doch wenn ich nun die Lust, die hiermit verbunden ist, als einziges Kriterium nehmen will, um dies auch wirklich zu tun, dann will ich doch erst noch einmal eine Zusicherung von meinem Verstand haben, der in einer Welt von "richtig" und "falsch" in Bezug auf Wirkungen und Folgen zu urteilen versucht, und hier fehlt es mir einfach an verlässlicher Information. Womöglich aber bedeutet diese Denkart nichts anderes, als das "Anti-Spirituelle" und "Tote" in sein Leben zu lassen. Und wer kann schon mit Sicherheit voraussagen, welche Handlungen welche gesamtgesellschaftlichen Wirkungen nach sich ziehen? Begehe ich hier nicht den gleichen Fehler in mir wie ihn eben weite Kreise von Politikern und Kirchenanhängern begehen? Wer nach zu viel Sicherheit fragt, der tötet das Leben ab, der tötet sein Herz ab, zumindest blockiert er es.

Ich habe in diesen Tagen die Marotte, überfallartig zu diesen Entscheidungsfragen zurückzukehren, und dadurch endlich eine letzte Antwort erzwingen zu wollen. Ich will nochmal ein starkes "Ja" oder auch "Nein" hören, doch was mir mein Herz sagt, ist eigentlich ziemlich klar...
(Ich bin in vieler Beziehung ein Paradebeispiel für die Gespaltenheit des menschlichen Apparats.)



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