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Freitag, 16. Dezember 2016
Sein IIa
Ich lege immer sehr viel Wert auf das Ideal, andere nach ihrem Inneren zu beurteilen.
Aber wenn ich darüber nachdenke, was mich daran hindert, wieder eine Beziehung einzugehen, dann ist es u.a. die hohe "Empfindlichkeit" meines Ästhetiksinns. Das bezieht sich noch nichtmal primär auf das andere Geschlecht. Der Mensch an sich als Erscheinung hat für mich Seiten, die einfach "ästhetisch befremdlich" sind. Das ganze kreatürliche Dasein hat für mich etwas befremdliches.
Wenn ich blind wäre, wäre ich wahrscheinlich schon längst wieder eine Beziehung eingegangen. Ich habe mich zu sehr auf meine ästhetischen Empfindlichkeiten eingelassen, so wie ich mich allgemein wohl zu sehr auf meine Empfindlichkeiten eingelassen habe. Es ist dies eine Nebenwirkung meines Strebens nach "genauem, integralen Denken", d.h. ein Denken unter Einbeziehung aller irrationalen Anteile meiner selbst, bzw. eine Nebenwirkung meiner genauen Selbst-Analyse. Das Streben danach, die eigenen Gefühlsregungen und den eigenen "Geschmack" genau zu kennen, verlangt nach genauer, bzw. "empfindlicher" Selbst-Wahrnehmung.

Was das Denken angeht, hat das sehr gute Auswirkungen, meine ich. So bin ich z.B. extrem empfindlich gegenüber Dogmen, Ideologien, Glaube um seiner selbst willen und alle anderen Arten von "geistiger Fixierung" (wie z.B. Fantum, also Fan einer Person oder Sache zu sein). Hier bestehe ich in jedem Fall auf meine Empfindlichkeit.

Meine ästhetische Empfindlichkeit ist kein Widerspruch zu meinem Ideal, den Menschen nach seinen inneren Werten zu wertschätzen, zumindest keiner der auf einen unehrlichen Charakter schließen lässt. Das eine sind meine Ideale, das andere meine "naturgegebenen" Triebe. Schönheit ist (?) eine natürliche Größe wie z.B. Raum, Zeit, Licht oder Magnetismus und es gibt einen Trieb in mir, der zu dieser Größe hinstrebt. Bisher hat mich mein Ästhetiksinn vor allem deswegen behindert, weil ich immer noch versucht habe, den Trieb mit meinem Ideal "in Ausgleich" zu bringen oder irgendwie einen guten Kompromiss zu finden. Aber das ist vollkommen vermurkst. So ein Kompromiss ist immer ein fauler Kompromiss. Das einzige, was wirklich hilft, ist sich vorzunehmen, zu handeln als wäre man blind. Oder man nimmt sich sein Augenlicht, macht sich wirklich blind.

Ich bin nicht ganz so allein, mit dieser radikalen Haltung. Zu meiner Freude habe ich 2011 mal einer Unterhaltung zwischen jungen Frauen (15-16) beigewohnt. Die eine sagte so oder so ähnlich: "Die Welt wäre schöner, wenn wir alle blind wären. Dann würde man die Menschen nicht immer so schnell nach ihrem Äußeren beurteilen."

Zu den größeren Herausforderungen würde es für mich auch zählen, in einer Beziehung absolut ehrlich zu meiner Partnerin zu sein, d.h. ehrlich über den Grad ihrer Schönheit bzw. Häßlichkeit (und es schmerzt mich schon, dies auch nur auszusprechen). Man ist ja eher in Ausnahmefällen mit einer absoluten "Engels-Schönheit" zusammen. Aber das scheint mir wie ein Ding der Unmöglichkeit: "Nein, ich finde Dich nicht so hübsch, aber ich mag Dich trotzdem…" – Kann man so etwas sagen? – Gleichzeitig denke ich, eine Frau (ein Mann) mit Klasse wüßte diese Ehrlichkeit zu schätzen. Was haben wir schon von unserer Lügerei? Befriedigt sie uns wirklich? – Ich denke, dass ich so eine Ansage gut akzeptieren könnte.
(Vielleicht sollte ich mich mal intensiver mit der Bewegung "Radical Honesty" beschäftigen...)

...

Die Geschichte vom Sündenfall wäre viel einfacher zu verstehen, wenn der Baum der Erkenntnis von "gut" und "böse" in Wirklichkeit der Baum der Erkenntnis von "schön" und "häßlich" wäre. Ist das nicht die viel größere Abartigkeit, die wir uns aufgeladen haben? Zumindest scheint mir das für mein Leben viel relevanter. Mit "gut" und "böse" habe ich kein großes Problem. Es ist nicht immer leicht, dies objektiv zu bewerten, aber jeder hat ein persönliches Gefühl dafür und danach sollte man sich richten.
Geht es aber um den Baum der Erkenntnis von "schön" und "häßlich" so wäre es jedenfalls auch logisch(er), dass sich Adam und Eva – nachdem ihnen "die Augen aufgetan" worden – ihren Körper bzw. ihre Geschlechtsteile bedecken. Das impliziert zwar, den ästhetischen Wert der Geschlechtsteile als "häßlich" festzusetzen, aber vielleicht ist dies ja sogar zulässig. (Ich für meinen Teil habe lange gebraucht, den nackten Menschen in seiner Ganzheit als "schön" empfinden zu können.) Auch scheint es mir logischer, dass die Frau hier, wenn es um "schön" und "häßlich" geht, die Rolle des Anstifters spielt, während ich diese Rolle bezüglich der Erkenntnis von "gut" und "böse" nicht abnehmen kann. Seit wann ist das weibliche Geschlecht das Geschlecht mit dem größeren philosophischen Interesse? Da hätte ich eher Adam als Eva in Verdacht, dass er seine Neugier nicht hatte zügeln können.

Ich kann auch nicht sehen, was an dem Interesse an "gut" und "böse" eine Sünde sein soll. Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Dadurch erlangte der Mensch doch erst das Bewusstsein für das, was eine Sünde ist. Das Bewusstsein von "gut" und "böse" befähigt einen doch dazu, Gutes zu tun und Böses zu vermeiden. Solange man dieses Bewusstsein aber nicht hat, kann man auch nicht für eine "Sünde" verantwortlich gemacht werden. Denn man weiß ja noch nichteinmal, dass die Sünde eine Sünde ist.
Dagegen scheint es mir 100x mal verständlicher, dass die Unterscheidung in "schön" und "häßlich" in sich selbst mit einem gewissen, moralischen Makel einher geht, denn die Fixierung des Menschen auf Schönheit hat zu einer massiven Oberflächlichkeit und graduellen Entmenschlichung geführt. Dies ist überall in der Welt beobachtbar.

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Gemäß einer gewissen esoterischen Theorie war die ursprüngliche Bedeutung von "gut" und "böse" einfach nur die von "Anziehung" und "Abstoßung".

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Es gibt eine andere esoterische Theorie, nach der die Fehlentwicklung der Menschheit damit zusammenhängt, dass eine dichte, schützende Wolkendecke um unseren Planeten zu früh aufgerissen ist, weswegen wir unseren Sehsinn zu früh entwickelt haben. Aus irgend einem Grund scheint dieser Sinn und das damit einhergehende Ästhetikempfinden zu mächtig zu sein, zumindest nach gegenwärtigem Stand unserer Entwickeltheit. So sind wir in eine "Schieflage" und zwanghafte Oberflächlichkeit hinein geraten.

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Das Schöne und Ästhetische bleibt als Phänomen (wenn man das denn so sagen darf...) aber in jedem Fall unberührt von jeder "Schuld". Man darf es wertschätzen. Die Frage ist nur, ob man sein eigenes Verhalten in jeder Weise von irrationaler Voreingenommenheit bezüglich "schöner" oder "häßlicher" Menschen frei machen kann. Wenn man dies kann, darf man sich auch die Erkenntnis erlauben, dass Schönheit ein Anti-Depressivum sein kann. Ja, sie kann sogar eine großartige Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens sein: Schönheit! Als allgemeineres Prinzip ist diese Idee ja auch anwendbar auf das Handeln.

Es ist Jahre her, dass ich im Bus mal einer "Engels-Schönheit" begegnet bin. Sie saß einfach nur still da mit ihren langen, braunen Haaren. Schönheiten dieser Art will man gar nicht mehr besitzen. Man will sie noch nichtmal anfassen. Auch nahe kommen muss man ihr nicht, außer natürlich in dem Maße, dass man sie ins Blickfeld kriegen muss, um sie zu genießen. Man will sich höchstens vor ihr niederknien. Sie löste eine sanfte Ehrfurcht aus.
Diese liebliche Schönheit war so intensiv, dass sie die Entmenschlichung vielleicht noch ein bißchen besser als sonst demonstrierte. Interessierte ich mich in diesem Moment für ihre Seele? Die Seele, die in diesem Körper saß, war nur Träger eines makellosen Körpers, einer makellosen Schönheit. Die Schönheit ihrer Erscheinung war nur ein Vertreter der reinen Idee von Schönheit. Über einen inneren Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Schönheit kann man nur spekulieren. Wäre sie innerlich aber genauso schön wie äußerlich, müsste sie in der Tat ein Engel gewesen sein.

Eine anti-depressive Wirkung erlebte ich noch Tage danach, als ich mich eines Morgens fragte, wozu denn eigentlich aufstehen und leben und dieser ganze Mist, etc... Dann durchfuhr mich wie ein Blitz die Erinnerung an diese Engels-Schönheit. Ich saß plötzlich kerzengerade im Bett und hatte keine Fragen mehr. Das war mir genug Sinn. – Heute frage ich mich aber schon, ob hiermit nicht doch zumindest eine graduelle Oberflächlichkeit einhergeht.



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