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Freitag, 18. Januar 2013
Sein II
Zweifle!

Wie merkwürdig der Imperativ „Glaube!“ / „Glaube an...!“ ist, tritt wieder etwas klarer zu Bewusstsein, wenn man sich mal an der entgegengesetzten Richtung versucht.

Lasset uns gemeinsam zweifeln! (Weil es der liebe Gott so will, oder warum auch immer. Jedenfalls wird uns dieser innerpsychische Akt des Zweifelns immense Vorteile einfahren...)

Z.B. an Newtons F = m * a

Konsequenterweise machen wir uns auch hier keine Mühe, dem dummen Vok zu erklären, was mit dieser Formel eigentlich gemeint ist. Uns geht es allein um den Zweifel! Wer sich mit den Grundlagen der Physik auskennt und den Aussagegehalt der Formel versteht, mag vielleicht etwas anders zweifeln, als der, der hiervon nur einen schwachen Schimmer – oder noch nichteinmal den – hat. Aber das juckt uns alle nicht! Hauptsache wir zweifeln gemeinsam.

Und jetzt echt mal: F = m * a ... könnte vielleicht falsch sein! Jawohl! Und zwar trotzdem sich diese Formel ständig in der Praxis zu „beweisen“ scheint!

(Gut gemacht! Wirklich toll! Du hast Dir jetzt 10 Bonbons verdient! Und wenn Du morgen wieder so artig zweifelst, dann kriegst Du wieder 10 Bonbons!)

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Man vertausche „F = m * a“ mit „der Heilige Geist“, „Bonbons“ mit „Gottes Gnade“ und „Zweifeln“ mit „Glauben“ – und man landet bei einer der hartnäckigsten Macken, die die Menschheit je hervorgebracht hat. (Zur Verteidigung Jesu will ich annehmen, dass es sich hier nur um eine Fehlinterpretation und Verzerrung der ursprünglichen Lehre handelt.)

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Nietzsche. Morgenröte. Erstes Buch. Zweifel als Sünde.
Zweifel als Sünde. – Das Christentum hat das Äußerste getan, um den Zirkel zu schließen, und schon den Zweifel für Sünde erklärt. Man soll ohne Vernunft, durch ein Wunder, in den Glauben hineingeworfen werden und nun in ihm wie im hellsten und unzweideutigsten Elemente schwimmen: schon der Blick nach einem Festlande, schon der Gedanke, man sei vielleicht nicht zum Schwimmen allein da, schon die leise Regung unserer amphibischen Natur – ist Sünde! Man merke doch, daß damit die Begründung des Glaubens und alles Nachdenken über seine Herkunft ebenfalls schon als sündhaft ausgeschlossen sind. Man will Blindheit und Taumel und einen ewigen Gesang über den Wellen, in denen die Vernunft ertrunken ist!
http://www.zeno.org/nid/20009244913



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Ob Nietzsche die Bibel wohl wirklich gelesen hat? Die ist nämlich voll mit Geschichten des Zweifelns. Denn das ist der Grundkonflikt des Glaubens - man möchte etwas hunterprozentig wissen, was jedoch nur geglaubt werden kann. Dieses Spannungsfeld ist die Herausforderung, der man sich sein Leben lang stellen muß. Und oft genug daran verzweifelt.

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Das klingt ein bißchen danach, als wolltest Du den „Glauben“ verteidigen. Und zwar nach einer Logik, die auch Kirchenchristen auf Lager haben: Das Zweifeln gehört dazu! Wer nicht auch ein bißchen zweifelt, der glaubt nicht wirklich. Am Ende wird der „Glaube“ dadurch nur stärker. Habe mir diese Logik letztens in einem Film auch wieder anhören müssen, diesmal zwischen zwei Koranschülern. Der Dialog endete zu meiner Zufriedenheit mit: „Ach, das ist doch Blödsinn!“.

Aber ich will Dich nicht in die falsche Ecke drängen. Möglicherweise meinst Du es gar nicht so. Ich habe aber den Verdacht, dass Du dem Glaubensglauben auch noch ein bißchen aufsitzt. „Glaube ist wichtig“, „Glaube ist bedeutsam“, „Glaube ist das, worum es in einer Religion geht“ – das sind Standpunkte, bei denen man sich gut überlegen sollte, ob man sie sich wirklich zu eigen machen sollte.

Man kann das Phänomen „Glaube“ in den Religionen auch nicht einfach sachlich erklären, wie Du es tust: Man versucht etwas zu wissen, das man eben nicht wissen kann. „Glaube“ wird jedenfalls im Christentum eindeutig zu einem magischen Akt erhoben, der in sich selbst bereits das Heil birgt.
Warum das so sein sollte – darüber habe ich noch nie eine vernünftige Erklärung gehört, und auch eine „offizielle“ Erklärung seitens der Kirche ist mir nicht bekannt (ich bin der Frage auch nicht nachgegangen). Man müsste ja wenigstens so etwas sagen wie: „Na, das ist eben so. Gott hat die Welt so gemacht. Gott will, dass man an ihn und an die richtige Lehre glaubt.“

Wenn man mal diese ganze Brimborium der Religionen weglässt und mal zu erraten versucht, was einem ein unbefleckter, gesunder Menschenverstand hierzu sagen würde, dann bleiben da nur Begriffe wie „Hypothese“, „These“, „Bestätigung“, „Widerlegung“, „Korrektur“ – also die natürliche Suche nach Wissen – sowie die grundsätzliche Möglichkeit, an einen positiven Urgrund der Welt zu glauben, und dass dieser ein liebender ist. So ein allgemeines, unspezifisches „Glauben“ ist nur schon wieder langweilig, so mühe- und nahtlos fügt es sich an die natürliche Wissenssuche des Menschen an. Wahrscheinlich ist das ja genau der Grund, warum Religionen so stark Verbreitung fanden. Wenn etwas zu reibungslos ist, ist es zu langweilig, also hat man angefangen, die natürlichsten innerpsychischen Akte von Glauben und Zweifeln (die die Wissenssuche naturgemäß begleiten und die eigentlich von selber ablaufen), zu der einen Seite hin mit einem ganz seltsamen unnatürlichen Gewicht zu belegen – wenn es vielleicht auch nicht so bewusst gemacht wurde, jedenfalls hat dieser zusätzliche Schuss Wahnsinn einen verwirrenden Effekt auf den Menschen. Seither biegt es und kracht es in der menschlichen Psyche.

Bei all meiner Zurückweisung des Glaubensglaubens ist durchaus noch Platz für einen Glauben an „Wunder“ – dies aber beruht für mich auf den offensichtlichen Schlussfolgerungen eines gesunden Menschenverstands. Wer bin ich, mir die Forderung anzumaßen, die Realität muss sich immer so verhalten, wie ich es erwarte?

Also ich will sagen: ich habe nichts gegen Wunderglauben, nichts gegen Gottglauben, auch nichts gegen die Annahme, dass Jesus existiert hat – aber dieser seltsame Glaubensglaube sollte wenigstens mal diskutiert werden. Das aber geschieht in der Praxis wohl nicht und darauf bezieht sich Nietzsche meiner Meinung nach. In der Kirche reicht für gewöhnlich das richtige Bekenntnis zur richtigen Marke. Bereits das wird für einen wertvollen „Glaubensakt“ gehalten.

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