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Freitag, 13. Juli 2012
Sein
Die solide Entscheidung zum Freitod geschieht in meinem Fall wohl doch nicht
aus reiner, positiver Todessehnsucht. Zu meinem Entscheidungsprozess gehört auch das immer wieder wiederholte Abtasten jeder möglichen Variante, vielleicht doch einen akzeptablen Weg im (diesseitigen) Leben zu finden. Ein stabiles Signal a la "Du musst gehen" stellt sich in der Tat immer nur dann ein, wenn ich mir ein normales, weltliches Leben vor Augen halte mit all dem, was so dazu gehört, und mit all den Anstrengungen und Aktivitäten, die hier von mir gefordert wären. Mit all den Kontexten, in die ich mich hineinbegeben müsste...
Es ist nicht immer so, dass ich hier sofort das Gefühl einer tiefen Unvereinbarkeit zwischen meiner Seele und dieser Welt verspüre, doch komme ich über kurz oder lang doch immer wieder dahin. Bisher sind jedenfalls alle Versuche gescheitert, nicht an diesen Punkt zu kommen. Nach ein paar Metern gerate ich in die Nähe der größeren Zumutungen, zu denen meine Seele dann einfach nur noch sagt "Nein, danke. Das Angebot passt nicht. Dieser Schuh drückt.".
Wer will, der kann mich als dreisten Egoisten betrachten, denn ich sitze in der Tat hier in meinem Kämmerlein und hege Erwartungen, die ganz entgegengesetzt zu dem berühmten Buchtitel "Ich habe Dir nie einen Rosengarten versprochen." verlaufen. Ich fordere inzwischen einen Rosengarten. Nach all den Versuchen, mich mit größter Opferbereitschaft zu einem braven Philosophen-Leben des einfachen und bescheidenen Menschen zu dressieren, habe ich diese (wohl übertriebenen) Dressur-Versuche als Irrweg erkannt – und gleichzeitig erkannt, dass ich gegen ein "normales Leben" ja gar nichts einzuwenden hätte, wenn ich zum jetzigen Zeitpunkt – zum Beispiel – erfolgreicher Buchautor wäre mit ordentlich Schotter als Absicherung im Hintergrund und keiner anderen Verpflichtung als meine Gedanken in eine lineare, ästhetische Form für das nächste Buch zu bringen. Zumindest kann ich mir vorstellen, auf diese Weise noch ein bißchen länger auf diesem Planeten zu verweilen. Später aber würde mich wohl irgendwann das Allein-Sein stören, das in einer solchen Umgebung, bei der alle materiellen Probleme weggenommen sind, wahrscheinlich noch viel klarer zutage treten würde. Nicht, dass ich ein Problem mit dem Allein-Sein habe, aber hier hängt für mich irgendwie auch ein Sinn-Aspekt dran: Wozu in einer Welt bleiben, in der man so allein ist? Ich kenne zu wenige genialen Menschen. Ich kenne zu wenige Genies des Herzens. Das lässt mir die Welt einfach ziemlich trostlos erscheinen. Die Arroganz-Frage muss man bei mir nicht stellen, denn ich beurteile all dies wiederrum nur über mein eigenes Herz – welches ich an manchen Ecken und Enden doch auf Hochglanz poliert habe. Liebend gerne hätte ich Menschen, zu denen ich aufblicken kann und von denen ich etwas lernen kann, doch außer in Büchern und meiner Phantasie habe ich sie im realen Leben noch nicht gefunden. Es gibt Tausende Menschen, die Talente haben, mit denen ich nicht mal ansatzweise mithalten kann, doch irgend etwas fehlt mir immer. Meist ist es ein zu grober Dogmatismus an anderer Stelle, der mich dann wieder abschreckt, oder das Fehlen von leidenschaftlicher Ehrlichkeit und Selbst-Kritik.

Das beste Kommentar, das ich mal von einem Freund zur Frage meines Freitods gehört habe, war: "Du bist noch nicht so weit." – Auch wenn ich ihm hierin nicht zustimme, war da immerhin ein ehrlicher und mutiger Gedanke jenseits des Mainstreams.

Der Rosengarten, den ich einfordere, muss kein großer sein und es würde reichen, wenn nur ein einziges Genie darin mir Gesellschaft leisten würde.
Und wenn man mir sagt, dass man sich seinen Rosengarten eben selbst erarbeiten muss, dann sage ich eben wiederrum "nein, danke". Es ist praktisch wie beim Schlittenfahren. An der Position, an der ich jetzt bin, – am Fuße des Berges – bricht man das Schlittenfahren entweder ab, oder man akzeptiert, dass man jetzt noch einmal den Berg mühsam hinauf laufen muss. Ich aber fordere einen Lift und selbst dann ist das Schlittenfahren für mich nur mäßig interessant.

Ein Genie kenne ich übrigens doch: meinen Vater – er muss jetzt einfach mal damit leben, von mir hier so bloßgestellt zu werden. Allerdings leistet er mir nicht so viel Gesellschaft, weil er letztlich doch einen ziemlich anderen Weg geht als ich.
Vielleicht hätte ich mich doch mehr unter Akademiker begeben sollen? Gar Philosophiekurse an der Uni besuchen sollen, nur mit der Absicht, ein paar großartige Menschen dort zu treffen?
Natürlich ist die Korrelation zwischen "Akademiker" und "Genie des Herzens" äußerst, äußerst schwach, doch das halbe Prozentpunkt an Korrelation mehr, die ich hier vermute im Vergleich zum Straßenvolk, hätte mir vielleicht den ein oder anderen großartigen Menschen und die ein oder andere tiefe Freundschaft zugespielt? Zugegeben: ich gehe ja generell ziemlich wenig unter Menschen.

Man sieht also: Ich denke durchaus praktisch über mögliche Lebenswege für mich nach. Komme ich aber an den Punkt, an dem ich keinen Weg mehr sehe, bleibt eben nur noch dieser Weg, "die Realität im rechten Winkel zu verlassen" (inspiriert durch Douglas Adams). Das klingt jetzt natürlich sehr nach diesem gängigen Konstrukt, bei dem man "Hoffnungslosigkeit" annimmt, doch ist dies nicht in mindesten die emotionale Qualität hierbei.

...

Egal, meine Hauptabsicht für diesen Beitrag war eigentlich eine ganz andere: ich wollte allein für mich selbst das Wissen festhalten, wann in welcher Situation das Signal "Du musst gehen" aus der Tiefe emporsteigt. Es kommt eben immer dann, wenn ich versuche, mich auf Wege zu zwingen, die nicht zu meinem Inneren passen. Ich bin allen Zwanges leid.
Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch Impulse, die mich mühelos in Richtung (diesseitges) Leben treiben: Sie kommen vor allem dann, wenn ich gerade frisch kapituliert habe, den Suizid gedanklich auf die nächste oder übernächste Woche verlege, und mir überhaupt keine Zwänge mehr zumute. Wenn ich morgens also nur noch aufwache und an gar nichts mehr zu denken habe, weil irgend eine Pflicht ansteht, dann zeigt sich manchmal wieder so etwas wie die Süße des Seins im normalen Leben, die ein bißchen an die Kindheit erinnert. So war es zumindest vor ein paar Wochen.

Auf diese Weise und in unterschiedlichen Spielarten pendel ich jetzt schon eine ganze Weile hin und her... wie in einer Bobbahn, in der ein ungeübter Schlittenfahrer mal zu weit nach rechts und mal zu weit nach links ausschlägt. (allerdings ist das Ziel, endlich mal zu einer der beiden Seiten auszubrechen... siehe auch: der Graben.)

Insofern ein dogmatischer Lebensbejahungstrip auch in mir an alledem teil hat, so schäme ich mich für diese Stumpfheit / Leidenschaftslosigkeit / Mutlosigkeit.



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