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Dienstag, 1. Mai 2012
Sein V
Ich habe kein Problem mit einem gesunden Nationalismus.
Genauso wie ich auch kein Problem mit einem gesunden Egoismus habe. (Was ist Nationalismus anderes als Egoismus auf einer kollektiven Ebene?) Ein möglicherweise bevorstehender Prozess der "Renationalisierung" ist für mich nicht notwendigerweise ein Trauerspiel. Egoismus kann auch immer eine gesunde Abgrenzung sein, die notwendig ist, um Kraft zu tanken. Ein gesunder stabiler "Egoismus" kann den zwischenmenschlichen Kontakt sogar stark bereichern.

Inwieweit diese Analogie zwichen individueller Identität und kollektiver Identität gültig ist, kann natürlich in Frage gestellt werden. Mir aber scheint sie pausibel; in jedem Fall glaube ich an die Möglichkeit eines gesunden Nationalismus. Dass dieser in unserer Zeit eine heikle Sache ist, will ich nicht leugnen. Aber das liegt nicht in der Natur der Sache, sondern hat seinen Grund darin, dass wir noch nichtmal auf der individuellen Ebene einen gesunden Egoismus können.
Oder nicht?



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In dem ganzen Gerede über Nationalismus / Patriotismus – die einen meinen, hier handele es sich um ein inherent böses Phänomen; die anderen widersprechen dem – ist für mich eigentlich nur eine Frage interessant: Ist es ein reales Phänomen oder ein konstruiertes? Oder – insofern man annehmen will, dass jede Realitätseinheit irgendwie konstruiert ist: Ist es ein Phänomen aus tieferen Realitätsschichten (bzw. "ein Phänomen höherer Ordnung")? Ist es ein Phänomen, das jenseits von individueller Entscheidungsfreiheit liegt, oder ist es ein Phänomen, das hauptsächlich im einzelnen Individuum kreiert wird? Ist es lediglich eine Einbildung? (Viele unterstellen dieser Einbildung gleich noch den alleinigen Zweck, von persönlichen Defiziten abzulenken.)

Das faktische, metaphysische Gegebensein dieses Phänomens wäre für mich gleichbedeutend mit einem absoluten Freispruch von jeder moralischer Verurteilung. Das Böse existiert für mich nur in der Entartung, nur indem etwas vom Menschen zum Natürlichen hinzugefügt wird. Dann wäre das Problem mit dem Nationalismus nur ein Problem des falschen Umgangs damit. Man ist nicht in der Lage, das Phänomen in angemessener Weise zu sehen und ihm seinen natürlichen Platz im Leben zuzuweisen. Dadurch entstehen dann erst die Probleme, die man dem Nationalismus ursächlich zuschreibt.

Ein Grundmuster des falschen Umgangs mit Realität ist die Fehlbetonung. Das Phänomen wird zum Elefanten gemacht bzw. zur Mücke, obwohl es z.B. nur ein Packesel ist. Ich selbst habe inzwischen schon das Gefühl, dass ich mich an diesem falschen Umgang mit beteilige, weil ich diesem Thema schon mehr Gedanken und Beiträge gewidmet habe, als es angemessen ist. Allerdings ist dies auch eine Konterreaktion zu den ideologisch fixierten Anit-Deutschen und Anti-Nationalisten, die von sich selbst zu glauben scheinen, dass sie die besseren Menschen sind. Sie machen das Phänomen zum Elefanten und werden dieses Hobbys nicht müde. Man hat in solch festgefahrener Situation praktisch gar keine Chance mehr, die richtige Betonung eines Phänomens herauszustellen. Das öffentliche Bewusstsein ist wie in einem Krampf gefangen und eine der wichtigsten Aufgaben hier, ist für Entspannung und Beruhigung zu sorgen, indem man sagt: In jedem Fall ist das Phänomen der Nation nicht das wichtigste von der Welt! Es ist nur ein Parameter von vielen in unserer bunten Wirklichkeit. Und selbstverständlich darf man auch annehmen, dass es vielleicht zum allgemeinen Plan gehört, dass sich dieses Phänomen mal auflösen wird. Wenn es aber zum natürlichen Lauf der Dinge gehört, dass dies geschieht, so ist fraglich, ob die irrationale Verteufelung dieses Phänomens das beste Mittel zur Umsetzung dieses Plans ist. Dies nur mal so als Vorgriff.

Spirituell betrachtet fallen mir jedenfalls zwei Szenarien ein, die das Phänomen der Nation / des Nationalismus auf eine reale Basis stellen. Zum einen könnte die Zersplitterung der Menschheit in Nationen, Kulturen und Rassen dem Zweck dienen, unterschiedliche Erfahrungs- und Experimentierräume zu schaffen, in denen die jeweils dort speziellen Erfahrungen gesammelt werden können. Zum anderen könnte es sogar sein, dass Nationen und Kulturen mit Bewusstseinsfamilien und Gruppen von Bewusstseinsfamilien korrellieren. Es gibt also nicht nur Völker auf der Erde, sondern auch im Himmel. (Hier könnte man die Frage nach metaphyischer und konstruierter Realität natürlich auf die nächste Stufe heben.)

Natürlich ist das alles Spekulation. Jenseits von allen Theorien kann ich persönlich aber davon berichten, dass mich die Feststellung, wie überaus schwach mein Wir-Empfinden in Bezug auf die ganze Menschheit ausgeprägt ist, einmal sehr überrascht hat. Immer war ich – schon von Kindheit an – mit einem auf die ganze Welt ausgerichteten leidenschaftlichen Idealismus ausgestattet. Und dann stellte ich eines Tages fest, dass auf der anderen Seite gar nicht so viel Substanz in dem entsprechenden Wir-Empfinden ist, wie ich es im Lichte meines Idealismus eigentlich erwarten würde... (Und doch ist mein Idealismus im wesentlichen noch der gleiche.) In Bezug auf Deutschland stellte ich dagegen ein etwas stärkeres Wir-Empfinden fest; nicht sehr stark, aber stärker als das in Bezug auf "die Menschheit".

Das Wir-Empfinden. Womöglich ist das ja das einzig Reale. Kann man hier sagen, dass dies ein gutes oder ein böses Phänomen ist?
Auch hier gilt wieder: Ein Phänomen ist weder gut noch schlecht. Bzw. es ist im allgemeinen eher gut, wenn es an der richtigen Stelle im Leben steht. Ich denke, dass ein gutes Wir-Empfinden das Leben auf nette Weise bereichern kann. Über welchen Wir-Kreis wir auch immer reden – Familie, Freunde, Fußballverein, Nation, Staatenverbund, die ganze Menschheit – es ist schön, ein paar Menschen an seiner Seite zu fühlen. Und es trägt dazu bei, sich für etwas mehr als nur sich selbst verantwortlich zu fühlen. Natürlich gibt es hier die Möglichkeit der Entartung und die Möglichkeit, das Wir als Fluchtmittel zu suchen, um sich von seinen persönlichen Problemen abzulenken. Was immer man aber auch gegen das Phänomen der Wir-Empfindung sagen kann, am Ende widerspricht für mich gerade das Mensch-Sein der These, dass man so etwas im allgemeinen eher meiden sollte. Obwohl ich alles Verständnis für ein Leben in Einsamkeit habe und die Pflicht zur Läuterung am eigenen Wesen höher halte als alles andere, so halte ich es doch für absurd, sich die Annehmlichkeit zu versagen, Solidarität und Identifikation in einer Gruppe zu erleben. Wenn es sich ergibt, dass sich so etwas im eigenen Leben einstellt – bei voller Harmonnie mit der eigenen Individualität und bei Erhaltung aller Freiheit –, dann ist das ein Glücksfall.

Natürlich könnte sich hier jetzt noch eine ganze Diskussion anschließen darüber, welche Formen und Unterformen des Wir-Empfindens es gibt, und inwieweit diese beliebig auf alle möglichen Maßstäbe zu übertragen sind. Meine Beispielreihe oben von der Familie bis zum Wir-Kreis der gesamten Menschheit – wobei die Nation lediglich als eine Zwischenstufe erscheint – ist möglicherweise etwas zu stark simplifiziert. Ändert sich die Qualität des Wir-Empfindens, wenn es auf dem größeren Maßstab von Völkern und Nationen stattfindet und ändert es sich gesetzmäßig hin zum schlechten?
In keinem Fall braucht man sich dem Irrtum hingeben, dass eine Wir-Definition immer davon abhängig ist, auch ein Nicht-Wir ("Ihr" oder "sie") zu definieren, und dass dieses Nicht-Wir dann naturgemäß gehasst, verachtet, unterdrückt oder einfach nur geringer geschätzt wird als das Wir. (Es gilt das ebensowenig für das Ich-Empfinden und die Selbstliebe.)

Letzten Endes könnte es natürlich trotzdem so sein, dass es ratsamer wäre, den Nationalismus / Patriotismus bewusst "tief zu dosieren". Denn abseits von allen vermeintlichen, metaphysischen Wahrheiten kann die Wirklichkeit durch die Art und Weise, wie die breite Masse gelernt hat, darauf zu reagieren, ein anderes Verhaltensmuster aufzeigen als es eigentlich "logisch" wäre. Wenn ich mir einen stumpfen Nationalismus vorstelle, der allein von grölenden und Fahnen schwenkenden Pennervolk praktiziert wird, dann erweckt das in mir auch nicht unbedingt die Erwartung einer goldigen Zukunft. Und Leute, die voller Inbrunst ihre Nationalhymne singen, lassen in mir auch eher ein mulmiges Gefühl entstehen. Dies hat alles nichts mit dem "gesunden Nationalismus" zu tun, an den ich durchaus glaube.

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