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Sonntag, 1. Juli 2012
Sein V
Sterbehilfe...


"Die Humanität hat Recht, wenn sie mit dem individuellen Leben sparsam verfährt. Nicht, weil es das Kostbarste wäre, sondern weil es das Kostbarste ist, das ihr blieb."

(vgl. Ernst Jünger)

Als jemand, der selbst Leben und Tod beständig gegeneinander abwägt – auf die Waage legt wie die Justitia und dabei hin und her laboriert – sicherlich nerve ich schon damit – bin ich wohl eine besonders einfache Zielscheibe für Gegner der Sterbehilfe. Sie können all ihr Gefasel vom Wert des Lebens loslassen, und fühlen sich ganz sicher in ihrem Standpunkt, dass jemand wie ich, der keine schwerwiegende Krankheit hat, doch unbedingt vom Suizid abgehalten werden müsse.

Oder würde jemand wie ich ihnen eher mehr Respekt vor der Wahrheit einflößen?

Egal, ich habe irgendwie das Gefühl, dass viel zu viele Leute zu diese Thema zu wenig das Maul aufmachen, und so tue ich es eben, der sich ja so oder so schon mit Tabu-Brüchen dieser und anderer Arten beschäftigt.

Eine neuer und aktueller Fall:
Tony Nicklinson.
Es gibt Berichte in der Zeit, der FAZ und der Welt. Und hier ist sein Twitter-Stream.

Nur ein paar Blicke in diese Berichte und mir kommen die Tränen. Mitsamt einer Scheiß-Wut auf die Ignoranz und Feigheit der Politiker.

Ich denke Gedanken wie diese:

Dass ich doch rüber nach Großbritannien fahren könnte, ihm den Gefallen der Tötung tun, und mich dann auch gleich aus dem Staub machen könnte...




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Sein IV
Tod / Suizid und Außenwirkung
Einer der Punkte, der mich im Zusammenhang mit der Entscheidung zwischen Leben und Tod am meisten bewegt – so scheint es mir –, ist die Außenwirkung, die ein möglicher Suizid hätte. Nicht in Hinblick auf die ein oder andere emotionale Reaktion einiger Mitmenschen – dafür habe ich zwar auch ein Sinn, aber das ist ein anderes Thema –, sondern in Hinblick auf die philosophische Aussage bzw. die Interpretation, die im Raum der Gesellschaft entstehen würde.
Es geht mir um die philosophische Interpretation, weil mit dieser immer eine philosophische Lehre verknüpft ist, und weil ein erneutes Denken und Reproduzieren dieser Lehre, aus welchem Anlaß auch immer, bedeutet, dieser Lehre Auftrieb zu geben. Und wenn diese philosophische Lehre eine behämmerte ist, dann wäre mein Tod für etwas Nichtsnutziges, ja Schädliches verbraten. Ich wäre geschändet und Ihr wäret geschädigt. Sozusagen.

Es erscheint mir ziemlich schlüssig, dass ich sogar einmal Zeichen in Richtung Suizid bekam. Diese kamen in Zeitfenstern, die taktisch klug gelegen waren, und mich in der "Heldenposition" hätten erscheinen lassen. So war da z.B. mal so ein Moment nachdem ich aus Australien zurückgekehrt war: Das wäre ein ganz großartiger Moment gewesen, um zu sterben! Vorher noch um die ganze Welt gereist, im Grunde nur um einen herzensguten Mann ein gutes Buch zu empfehlen, und dann eben den Tod gewählt. Da war sich das Universum über eine besondere Ästhetik in diesem "Schauspiel" bewusst, und legte mir genau zu diesem Zeitpunkt den Suizid nahe. (Ich war allerdings auch ein bißchen pikiert über diesen Vorschlag...)

Nun aber habe ich alles an großen Möglichkeiten verlottern lassen. Sowohl die "normale Romantik" des Kennenlernes einer Frau mit dem abschließenden Krönen durch eine Heirat habe ich mehrfach ausgeschlagen, als auch die "höhere Romantik" des Freitods aus Leidenschaft habe ich ausgeschlagen, wo sie mir durch Zeichen und Fügungen angeboten wurden.

Wenn ich mich jetzt für den "Tod" entscheiden würde, so könnte es vielleicht passieren, dass man mich einordnet wie "Der ist einfach auf den falschen Pfad gekommen und fand da nicht mehr heraus. Er war wohl auch deprimiert über seinen Mißerfolg und das karrieretechnische Aus, in das er sich hineinmotiviert hat." Und so eine Interpetation täte mir leid.

Würdet Ihr auch ein wenig Platz für etwas Positives in Eurem Urteil, Eurer Bewertung, haben? Würdet Ihr im Zweifelsfall lieber den größtmöglichen Abstand zu irgend einem festen Urteil einbehalten? Würdet Ihr rein genug sein, um Eure im Kern übermenschliche Weisheit zu hören? Es schmerzt bereits in der Vorstellung, dass Ihr all das auch nicht leisten könntet. Da ist ein Mitleiden, Mitfühlen, Mitfiebern, das mich antreibt, immernoch ein paar Wochen und Monate länger durchzuhalten und zu schreiben, um wenigstens das kleine, das ich beitragen kann, voll auszuschöpfen. Auf dass sich niemand ein Armutszeugnis ausstelle, wenn ich denn zur Tat schreite!

Ich selbst übrigens würde es so einordnen: Ich habe mich eben dazu entschlossen, den Graben, in dem ich mich befinde, zur linken Seite hin zu verlassen. Ihn zur rechten zu verlassen, würde bedeuten, mich für das diesseitige Leben in aller Entschiedenheit, Gesundheit, Natürlichkeit, Körperlichkeit und Kreativität zu entscheiden. Ich meine, es ist die linke Seite, die ein kleines bißchen schneller zu Gott zurückführt. Es ist die linke Seite, die man gewöhnlich nicht in Zweisamkeit beschreitet.

______
PS: Das Bild vom Graben und der zwei Seiten und die Interpretation von mir ist selbstverständlich nicht ohne weiteres allgemeingültig. Ich denke, dass das Bild relativ auf meine Situation und meinen Entwicklungsstand zugeschnitten ist. Allerdings glaube ich schon, dass es auch einen gewissen "objektiven" Gehalt hat.



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